2. Bericht: Februar 2016
„Behinderte haben das angeborene Recht auf Achtung ihrer Menschenwürde. Behinderte haben ungeachtet der Ursache, Art und Schwere ihrer Benachteiligung und Behinderungen die gleichen Grundrechte wie ihre gleichaltrigen Mitbürger, d.h. zunächst und vor allem das Recht auf ein möglichst normales und erfülltes, menschenwürdiges Leben.“
(Aus der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der Behinderten (1975))
Mein Name ist Alex, ich bin 9 Jahre alt, bin ein fröhlicher Junge. Seit dreieinhalb Jahren werde ich von morgens 8:00 Uhr bis nachmittags um 16:30 Uhr in der Fundación Esperanza betreut.
Ich kann nicht laufen, geschweige denn, mich ohne Hilfe fortbewegen. Ich sitze seit meiner Geburt im Rollstuhl. Möchte ich irgendwohin, kann ich dies nicht einfach tun, ich bin immer auf andere Personen angewiesen und mein Leben hängt von Entscheidungen anderer Leute ab.
Einfach mal raus auf den Spielplatz gehen, geht nicht. Es spielt für mich keine Rolle, dass ich nicht alleine rutschen oder schaukeln kann. Mir macht es Spaß an der frischen Luft zu sein und das mit Kindern in meinem Alter zu genießen. Dabei spielt es keine Rolle, ob meine Spielkameraden im Rollstuhl sitzen, wie ich, oder nicht.
Ich kann nicht alleine essen. Wenn ich Hunger habe, kann ich mir nicht einfach ein Brot machen. Ich werde mir niemals das kochen können, worauf ich Lust habe. Immer gibt es diesen Brei, der sogar manchmal ganz gut schmeckt. Das einzige, was nervt, sind immer die gleichen Worte, die mir und auch den anderen Kindern vorgebrabbelt werden: „qué rico!“ (wie lecker/ köstlich). Vielleicht hätte ich auch mal gerne meine Ruhe beim Essen? Nur leider kann ich das nicht äußern.
Und falls mir das Essen mal nicht schmeckt, wird es trotzdem rein geschaufelt, denn wenn ich mich wehre und den Kopf bewege oder weine, heißt es, dass ich essen muss, damit ich groß und stark werde.
Regelmäßig läuft mir die Spucke am Mund herunter über meinen Hals in meine Kleidung. Dieses Gefühl ist unerträglich, da es kitzelt und juckt und du einfach nichts dagegen unternehmen kannst. Ich muss warten bis es jemand bemerkt und mich dann mit meinem sowieso schon dreckigen Lätzchen sauber macht.
Ich würde es ja gerne verhindern, aber oft ist es für mich viel zu anstrengend meinen Kopf hochzuhalten, weshalb mir keine andere Möglichkeit bleibt, als ihn schlapp runter hängen zu lassen.
Das ist gelogen. Keiner hat auch nur die geringste Ahnung, dass ich schon stark bin. Groß bin ich nicht unbedingt, aber ich bin stärker als manche anderen Erwachsenen, die ich bisher kennen lernen durfte.
Ich kann nicht alleine aufs Klo gehen. Ich trage Windeln. Manchmal sind die Windeln zu klein oder drücken. Niemand weiß das, aber ich habe auch aufgegeben zu versuchen dies mitzuteilen. Versteht ja sowieso niemand.
Wenn ich mich volluriniert habe und ich schon seit einer Stunde mit nasser Hose in meinem Rollstuhl sitze, mache ich meistens mal auf mich aufmerksam, indem ich Laute von mir gebe. Meistens hilft das auch tatsächlich und dann bin ich frisch gewickelt wieder glücklich und kann mich auf andere Dinge konzentrieren.
Wenn ich etwas nicht möchte, dann kann ich das niemandem mitteilen. Keiner versteht, was ich sagen möchte, denn ich kann nicht sprechen, wie ihr wahrscheinlich schon gemerkt habt. Ich gebe Laute von mir, um auf mich aufmerksam zu machen. Sie denken, er jammert wieder aus irgendeinem banalen Grund, aber das stimmt nicht.
Wenn mir zu kalt oder zu heiß ist, kann ich niemanden bitten, dass er mir noch einen Pullover an- beziehungsweise auszieht. Stattdessen muss ich warten bis jemand spürt, dass mein Körper glüht oder eiskalt ist.
Wenn ich Schmerzen habe, kann ich nicht einfach um Medikamente bitten.
Aufgrund meiner Behinderung habe ich öfter Verdauungsprobleme. Manchmal schmerzt mein Bauch und das stundenlang, bis es endlich wieder aufhört. Meine Verdauung ist nicht die beste und genau aus dem Grund brauche ich öfter mal eine Massage. Die bekomme ich tatsächlich immer mal wieder, und das ist eines der schönsten Gefühle, wenn die Schmerzen weg sind.
Das gleiche gilt für meinen Rücken. Oft komme ich mir vor wie ein alter Mann. Da ich an Skoliose (Seitabweichung der Wirbelsäule) leide, verursacht das lange Sitzen im Rollstuhl und auch die zu geringe Bewegung regelmäßig Schmerzen. Zum Glück wissen das die Menschen, die mir nahe stehen und helfen mir mit regelmäßiger Therapie und Massagen.
Um ehrlich zu sein, habe ich wirklich Glück. Natürlich ist nicht alles perfekt aber was ist schon perfekt. Ich bin glücklich, dass ich leben darf und meine Mutter ist die Beste der Welt, denn sie kümmert sich mit so viel Liebe und Zuneigung um mich. Ich darf immer mit, wenn wir Ausflüge machen und genauso Dinge erleben, wie die Menschen, die mir wichtig sind. Es gibt genügend Kinder, die bei Verwandten geparkt werden und nie wirklich etwas von der Welt sehen, da „sie ja krank werden könnten, weil ihr Immunsystem zu schwach ist“. Zum Glück werde ich immer schön dick eingepackt, sodass ich nie friere.
Das war ein kleiner Einblick, wie kleine alltägliche Situationen eines Behinderten wahrgenommen werden könnten. Ich hoffe es hat nicht schockiert, denn das war nicht die Intention.