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  1. Erfahrungsbericht

Als ich vor kurzem auf den Kalender schaute, entdeckte ich, dass die Abgabefrist für den ersten Erfahrungsbericht immer näher rückte und mir irgendwie immer noch die Idee für meinen ersten Text fehlte. Ich wusste nicht, ob ich über meinen alltäglichen Arbeitstag oder lieber über Ecuador und meine ersten Eindrücke schreiben sollte. Doch irgendwie erschien mir, als seien diese ersten Erfahrungen etwas, was schon jeder andere Freiwillige in seinem Bericht vor mir geschrieben hätte und somit wäre es nichts besonderes mehr...

...das dachte ich zumindest. Doch eigentlich erlebt jeder seine eigene kleine Geschichte, die auf seine eigene Art und Weise etwas Besonderes und Individuelles ist. Und deshalb kommt hier kommt meine eigene:
Um ganz von vorne zu beginnen: Die letzten Tage in Deutschland. Nach dem großen Abschnitt „Schule“ stand nun schon das nächste große Abenteuer bevor. Mein „Auslandsjahr in Ecuador“.
Ich hätte vor dieser Reise noch so viel über das Land und die Kultur lesen können und doch hätte es mir nicht die Anschauungsweise Ecuadors schildern können, die ich innerhalb der wenigen Monate, die ich bereits hier bin, sammeln konnte. Besonders auch die vorherige Sorge, dass es mir mit meinem mangelnden Spanisch schwer fallen würde zurechtzukommen, bereitete mir damals Sorgen. Denn außer einigen Begrüßungsformeln konnte ich damals nicht viel in dieser Sprache ausdrücken. Und so packte ich meinen Koffer, mit 1000 Gedanken an Ecuador und dem Gefühl, dass ich etwas vergessen haben könnte. Es gingen mir Fragen durch den Kopf, wie ich mich einleben würde, ob ich mich integrieren könnte und ob ich vielleicht nicht Fernweh, sondern Heimweh bekommen würde?
Aber ohne dann lange überlegen zu können, ging es auch schon los. 365 Tage Ecuador. 365 Tage weg von Zuhause. 365 Tage voller neuer Momente. Da waren meine zwei Austauschwochen in Frankreich zur Schulzeit kein Vergleich.


In Ecuador sicher angekommen - wobei das eine Flugzeug eine interessante Flugkunst hatte - wurden wir herzlich von unserer Mentorin Patricia empfangen. Nach einigen Tagen der Eingewöhnung in Quito ging es für mich dann auch schon nach Ibarra in meine eigene, kleine Wohnung, in der ich mich anfangs etwas allein und einsam gefühlt habe. Ich persönlich würde es besser finden, wenn man die ersten 2 Wochen erst mal bei einer Gastfamilie verbringt und halbtags zum Spanischunterricht geht. So lebt man sich schneller und leichter in die Sprache und das ecuadorianische Leben ein. Es wäre eine einmalige Chance, zu sehen, wie die Familien leben und man hätte so auch einen Ansprechpartner, falls mal etwas sein sollte, denn für mich war es total ungewohnt und neu, eine Woche lang allein in der Wohnung zu leben. In dieser ersten Zeit konnte ich im Nachhinein auch viele nette und hilfsbereite Menschen kennenlernen, die mich z.B. bei sich für paar Minuten aufgenommen haben, als ich mich am ersten Tage vor Orientierungslosigkeit verlaufen habe. Und auch allein schon die nette Geste, dass man in der Fundación mit einer lieben Ansprache und einer bunten Torte willkommen geheißen wurde, verstärkte meinen positiven Eindruck von den Ecuadorianern.
Die Arbeit gefiel mir schon am ersten Tag und die Kinder wurden auch sehr schnell ins Herz geschlossen. Und auch am Essen und dem angenehmen Klima gibt es nichts zu bemängeln. Ich fühle mich wohl und bin froh, hier zu sein. Das einzig Lästige war mein zweimonatiger Kumpane, der Parasit in meinem Körper, der mir nahezu jegliche Lebensfreude nahm. Aber nun, nachdem diese Zeit vorbei ist, kann ich mit vollkommener Überzeugung sagen, dass ich gesund bin und es hoffentlich auch bleibe.

Meine Eindrücke von dem Land und den Leuten sind aber trotz allem noch sehr unsortiert und zahlreich, dass ich mich wahrscheinlich im nächsten Bericht intensiver dazu äußern werde.

Was ich jedoch bis jetzt sagen kann, ist, dass ich mich jeden Tag ein bisschen mehr einlebe und Ibarra immer mehr zu meiner Heimat wird. Ich fühle mich als ein kleiner Teil vom großen Ganzen. Ich fühle mich angenommen und in die große Yuyucocha-Familie aufgenommen.

Auch in der Gesellschaft falle ich mit meinen dunklen Haaren und meiner leicht gebräunten Haut nicht sehr auf. Ab und zu wird mir zwar die Frage gestellt, woher ich komme und ich werde danach gefragt, wie das Land denn sei, aus dem ich komme. Denn hier ist es so, dass die Wenigsten sich diesen Luxus, in ein anderes Land, geschweige denn auf einen anderen Kontinent zu reisen, leisten können. Für uns dagegen ist es ganz normal, das wir so etwas in unseren Urlaubstagen machen und umso weniger scheinen wir es zu schätzen. Hier in Ecuador ist mir so noch einmal stärker bewusst geworden, dass wir oft alltäglichen Dinge, wie warmes Wasser, Nahrung, ein Dach über dem Kopf, die Gesundheit und unsere Familie und Freunde, viel weniger Wert geben, als dem Materiellen und dass darin ein großer Fehler liegt. Eins der auf gewisse Weise befreiendsten Dingen war, als mir mein Handy geklaut wurde. Denn mir war vorher nicht klar, wie fixiert ich auf diese materielle Sache eigentlich war. Es wurde mir bewusst, wie abhängig und selbstverständlich wir es oft sehen, immer und überall erreichbar zu sein. Zwar bin noch lange nicht jemand, der sich viel mit diesem Medium beschäftigt, aber wenn ich an viele Schulkinder in Deutschland denke, die nichts anderes kennen als ihre Smartphones, dann wird mir die Bedeutung des Handys in der Gesellschaft sehr bewusst. Selbst, wenn die Menschen hier auch mit den neusten Handys am Tisch sitzen. Umso schöner ist es dann zu sehen, dass viele Kinder draußen mit Stöcken und Steinen spielen oder wie sehr sie sich über eine Frucht am Tag freuen. Für sie ist es das Schönste der Welt. Solche Dinge verlieren in der heutigen Konsumgesellschaft immer mehr an Bedeutung. Die Menschen hier scheinen mehr den Moment zu leben und weniger auf Materielles bedacht zu sein.

Was mich besonders erstaunt hat, ist, dass die Menschen auf mich manchmal so wirken, als seien sie zugeknöpft – selbst bei unerträglicher Hitze laufen die meisten in langen Hosen und Pullovern rum. Doch wenn es um das Thema Sexualität geht, reden die Menschen oft auch ganz offen und ohne Hemmungen und es scheint kein Tabuthema zu sein. Denn wenn selbst ein Straßenkünstler in seiner Comedy-Show eine „geschlechtliche Umwandlung“ vorzunehmen scheint, indem er sich anzüglich als junge Dame verkleidet und auf eine witzige Art über die Geschlechterrollen spricht. Dieser Vortrag schien beim gemischten Publikum zwischen groß und klein, jung und alt und männlich und weiblich gut anzukommen. Das zeigt, dass die Menschen gar nicht so prüde zu sein scheinen, wie man vielleicht zunächst denken mag. Sie wirken auf mich viel aufgeschlossener und jünger. Denn wie jemand so schön sagte: man ist so alt, wie man sich fühlt und man sollte sein Leben genießen. Wer weiß, was morgen passieren wird. In diesem Sinne verabschiede ich mich. Bis dann.

 

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