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Mein zweiter Bericht

Ich sitze in einem spartanisch eingerichteten Raum am Tisch, neben mir lehnt mein Fahrrad an der Wand und vor mir steht ein kleiner Styroporteller mit papas (Kartoffeln) und tostados (gerösteter Mais). Das einzige Essen, was ich ohne Fleisch bekommen hab. Das Restaurant, in dem ich zwar dankbar aber nicht ganz freiwillig verweile, gehört einer indigenen Familie. Die Mutter steht wartend auf Kundschaft an der Tür, vor ihr schon das vorbereitete Essen in Töpfen und ihre Tochter sitzt in ihrer Tracht mit Spiegel in der Hand am Tisch und macht sich für das Inti Raymi Fest fertig. Es ist das Sonnenfest (Raymi) zu Ehren von Inti, dem Sonnengott und wird traditionell Ende Juni gefeiert. Mich fertigzumachen hatte ich eigentlich auch vor, aber leider hat mein Handyakku aufgegeben, bevor ich den anderen eine Nachricht schreiben konnte, hinter welcher der vielen Metalltüren dieser Straßen sie gerade von Freunden angekleidet werden. Also sitze ich wartend in diesem Restaurant, wo die Frau sich netterweise bereit erklärt hat, mein Handy aufzuladen, während ich ihre papas esse und die Familie beobachte. Zwei Stunden später tanze ich dann aber, nun endlich auch eingekleidet mit der mit Blumen bestickten weißen Bluse, dem dunklen Rock, der aufwendig gefaltet und mit zwei bunten Bändern um meine Taille gebunden wurde und dem vielen Schmuck, durch die Straßen Ibarras. Der Menschenzug besteht aus Frauen in eben diesen Trachten, Männer und Frauen in den traditionellen Fellhosen und reichlich Musikern, die die Gruppe begleiten und für gute Stimmung sorgen. Und so bahnen wir uns den Weg singend und tanzend durch die Stadt, bis wir gelegentlich stehenbleiben und uns zu einem Kreis formieren- die Musiker in der Mitte und die Menschenmenge drumherum. Es wird gelacht, ein trago (Schnaps) nach dem anderen mit einem ¡salud! nach hinten gekippt und die Familien, die in den umliegenden tiendas (Geschäften) arbeiten, reichen große Schüsseln mit canguil (Popcorn) und papas rum, wo jeder eingeladen wird, reinzugreifen. So feiern wir in die Nacht und irgendwann entdecke ich nochmal die Tochter aus dem Restaurant im Getümmel mittanzen und wir lächeln uns kurz an. An solchen Abenden fühle ich mich eingetaucht in die Kultur mit dieser Selbstverständlichkeit des Miteinanders und der Lebensfreude. Dazu muss man aber sagen, so eingetaucht ich mich auch fühlen mag, ich muss trotzdem noch an jeder zweiten Ecke Fotos machen, weil ich dann doch immer die Blondhaarige bleibe.

Dieses Treiben habe ich in den letzten Wochen furchtbar vermisst. Nach unserem Trip in den Amazonas lag ich leider einige Zeit krank im Bett und hab von dem ecuadorianischen Alltag entsprechend wenig mitbekomme. Und auch wenn die erste Woche bei unserem aktiven Lebensstil hier als Ruhephase ganz guttat, war ich danach ziemlich frustriert weder die Kinder noch das Land zu sehen, während die anderen geschichtenerzählend nachhause kamen. Natürlich haben sie sich dazwischen aber auch ganz reizend um mich gekümmert.

Nun hab ich es zum Glück aber überstanden und stürze mich in meinen Alltag. Ich hab gemerkt, dass ich durch die lange Pause nochmal einen aufmerksameren Blick auf all dieses „Normalgewordene“ bekommen habe und mich die Bewunderung von der Anfangszeit packt. Das Schlendern durch den Markt, wo ich auf der Suche nach Erdnussbutter von Stand zu Stand gelotst werde und wenn ich an einem hängenbleibe mich bei jedem mi corazón (Kosename: Mein Herz) oder mi hija (Kosename: Meine Tochter) noch besser fühle. Die Kinder, die ich inzwischen so gut kenne und ich mir gar nicht vorstellen kann wie es wird, einen Tag keine Kinderumarmungen mehr zu bekommen oder die Kleinen zum Duschen zu überreden. Die Stadt, mit der ich mich manchmal schwertue, aber inzwischen meine Orte gefunden habe und besonders, wenn ich in der Abendsonne nach Hause laufe, sehr schätze. Die WG, die einen vielleicht manchmal an soziale Grenzen bringt, aber viel häufiger doch einfach ein schöner Ort ist, wenn man zusammen in der Küche sitzt oder sich mal spontan in einem Zimmer versammelt und über alles redet. Das Tanzen, das irgendwie so viel intensiver ist und gleichzeitig sehr viel Spaß macht. Und die Flexibilität in diesem Land, die man besonders beim Reisen merkt, wo es keinen Busplan gibt, wo man irgendwo landet und es aber immer Menschen gibt, die helfen. Ich meine diese Leichtigkeit, die in der Ungewissheit entsteht.

Wenn ich das so beobachte, stellt sich langsam ein leises Bedauern ein, dass ich dieses Leben nur noch 2 Monate führe. Aber neben dem Schwärmen darf man nicht vergessen, dass man in diesem Jahr allerlei Phasen durchläuft. Und eine davon war bei mir genau das Gegenteil, von dem, was ich Euch gerade beschrieben habe. Nach dem ganzen Eingewöhnen und den ersten Schwierigkeiten, sowie Erfolgen, hat sich ein Alltag gebildet. Und wie bei vermutlich jedem Alltag gibt es auch mal Tage, die grau sind. Tage, an denen man müde ist und nicht zum dritten Mal mit den Kindern über die gleiche Sache diskutieren möchte und der Geduldsfaden wesentlich schneller reißt. An diesen Tagen und folgenden Wochen habe ich meine Rolle bei der Arbeit wieder angezweifelt. Ich hab mein Spanisch kritisiert, weil es nach den Monaten doch schon so viel besser sein könnte. Meine ganzen Erwartungen an dieses Jahr hab ich nochmal ausgerollt und da dann festgestellt, dass doch noch erstaunlich viele Differenzen zur Realität bestanden.

Gerade gestern hat mich ein Mann gefragt, ob‘s genauso ist wie ich es mir vorgestellt habe und ich meinte nur, ich wusste gar nicht was ich mir vorstellen sollte. Unter uns, glaube ich, dass es deswegen immer diese Differenzen geben wird, was nicht bedeutet, dass das es schlechter ist als in meiner Vorstellung. Aber trotzdem hatte ich meine Erwartungen, die mich nicht losgelassen und dazu geführt haben, immer wieder meine Rolle und meinen Alltag zu hinterfragen. Um bei der Frage anzufangen welche Rolle ich einnehme, glaube ich, muss man da nochmal unterscheiden. Arbeit, Privatleben, im Land. Ich denke im Generellen befasst man sich mit diesem Thema während des gesamten Jahres und immer wieder ergibt sich eine neue Perspektive dazu. So habe ich auch in der Anfangszeit viel darüber nachgedacht, bin aber noch zu anderen Schlüssen gekommen.

Mich hat vor zwei Wochen bei dem Schulfest der Kinder ein Junge gefragt: ¿Eres la niñera de ellos? Ich musste kurz nachdenken, erklärte ihm dann aber - Nein ich bin kein Kindermädchen. Ich bin eher wie eine große Schwester, eine Freundin. Ich glaube, das trifft es eigentlich ganz gut. Ich bin inzwischen für die Kinder eine Vertrauensperson geworden, das bedeutet unsere Beziehung funktioniert nicht über Autorität, sondern eher über Zuneigung und das gewachsene Vertrauen zueinander. Anfangs hat mich der Mangel an Autorität zuweilen gestört und tut es ehrlicherweise bei sinnlosen Diskussionen immer noch. Jedoch eröffnet mir es auch einen anderen Zugang zu den Kindern, wenn ich sie nicht die ganze Zeit belehren muss, sondern auch mal mitlachen darf oder sie mit sanfter Strenge angucke, wissentlich, dass sie das gerade selbst verstehen. Aus diesem Grund kommen zum Beispiel hin und wieder die größeren Mädchen zu mir, nehmen mich an der Hand und flüstern mir kichernd ins Ohr was ihnen heute in der Schule passiert ist und welcher Junge was zu ihnen gesagt hat. In solchen Momenten genieße ich es sehr, diese Position des Mittendrinseins einzunehmen. Das zu verstehen tat gut, besonders in der Hinsicht, dass ich mich zunächst häufig gefragt habe, was für eine Freiwillige ich sein möchte oder besser gesagt bin. Mich beschäftigte die Frage, ob ich wirklich hilfreich bin und gut genug, in dem was ich mache. Trage ich hier wirklich etwas Nennenswertes bei? Können das andere nicht viel besser? Denn die Grundsatzfrage, was wir als unausgebildete Helfende mit Sprachbarriere, die sich erstmal an Kultur und Kinder gewöhnen müssen im Gegensatz zu Fachleuten ausrichten können, bleibt berechtigt. Bei unserem Zwischenseminar im März ging es vor allem um diese Punkte und hat mir gezeigt, dass ich gewiss nicht die Einzige mit diesen Fragen im Kopf war. Der Austausch untereinander und auch die Sicht von weltwärts auf Freiwillige, hat auf jeden Fall nochmal eine neue Perspektive hervorgerufen. So geht es gar nicht zwangsläufig darum den Kindern das meist Möglichste mitzugeben oder der Arbeit einer Fachperson nachzukommen, sondern eher um die Aufmerksamkeit und die Liebe, die wir den Kindern schenken.

Ich saß letztens mit den Kindern im Bus, als immer wieder eine Frau zu uns rüber schaute und mich anlächelte. Irgendwann kam sie zu mir und sagte mir, was für ein Glück die Kinder doch hätten, da ich so liebevoll und aufmerksam wäre. Das kennt sie gar nicht. Vielleicht ist es genau das, worum es geht und wer wir sind. Denn im Endeffekt sind die schönsten Momente, wenn man zusammen auf der Treppe sitzt und telefonieren spielt oder etwas bastelt und alle einem stolz ihr Werk präsentieren, sowie die Augenblicke, wo man zuhört, tröstet oder einfach nur Teil der Situation ist. Diese kleinen Dinge meinen schon sehr viel und sind glaub ich mit das Wundervollste, was wir aus diesem Jahr mitnehmen. Und in dieser Hinsicht kann man eigentlich gar nicht ungenügend tun oder ungenügend sein, oder? Bei dem Seminar waren wir uns zumindest alle einig, dass der Anspruch, den sich viele auferlegt haben (ehrlicherweise auch ich) nicht hilft, sondern unzufrieden macht. Diesen Anspruch kann man nicht nur auf die Arbeit, sondern auf alle Erwartung an dieses Jahr beziehen. Mein Gedankenkarussell drehte sich um die Begriffe Souveränität, Offenheit, Spanisch, Kontakte, Kultur – bin ich eingetaucht?

Im April sind wir drei Mädels zusammen für ein Wochenende nach Salinas de Guaranda gefahren. Einem kleinen Ort auf 3550 Höhenmetern, der in der Provinz Bolivar mitten in Ecuador liegt und wo es endlich mal wieder guten Käse gibt. Das war ehrlich gesagt eins meiner Highlights. Aber darauf will ich eigentlich gar nicht hinaus, sondern auf den Alltag des Freundes, den wir dort besucht haben. Er wohnt im Gegensatz zu uns in einer Gastfamilie und wir waren passend zu der Taufe seiner Gastbrüder da. Auf dem Fest hat man gemerkt, dass durch den kleinen Ort mit weniger Menschen eine ganz andere Gemeinschaft herrschte. Er kannte fast alle und zur Begrüßung wurde sich geschwisterlich auf die Schulter geklopft. Es war ein Abend voller Tanzen und Miteinanderseins, an dem ich mich unerwartet aufgenommen gefühlt habe. Der Freund arbeitet in dem Dorf als „Junge für alles“ und unternimmt am Wochenende was mit seinen Freunden und der Familie. Ein ganz anderes Bild von einem Freiwilligendienst, welches wir an den zwei Tagen bekommen haben. Und da fragte ich mich immer wieder - bin ich wirklich eingetaucht?

Es gibt wahrscheinlich viele Versionen, die man von diesem Jahr erleben kann. Jede Person erzählt von anderen Erfahrungen je nachdem welches Projekt sie hat, ob sie in einer Familie oder mit Gleichalterigen wohnt, ob sie in Quito, einer Stadt wie Ibarra oder in einer communidad (Dorfgemeinschaft) mit Indigenen lebt und auch ob sie die Wochenenden mit Reisen oder dem Leben in ihrem Ort verbringt. All diese Faktoren beeinflussen die Erfahrung entscheidend und gewissermaßen auch das „eingetaucht-Gefühl“. Und wo ich manchmal denke, dass eine Gastfamilie für die Kultur und die Sprache schön wäre, weiß ich im gleichen Zuge, dass ich die WG und das spontane Reisen niemals eintauschen wollen würde. Oder wenn die Stadt manchmal so unpersönlich erscheint, ist unsere Arbeit hingegen so intensiv und wichtig. Die Aufzählung könnte ich bestimmt noch ein bisschen weiterführen. Worauf ich bei dem Ganzen wahrscheinlich hinaus möchte ist, dass jede Versionen seine eigenen Facetten hat und ich mit meiner schlussendlich doch ziemlich zufrieden bin, denn es ist alles in allem meine Sicht und Erfahrung von Ecuador.

Ich fand einen Satz ganz schön, der bei unserem Seminar mehrmals aufgegriffen wurde – Du hinterlässt immer Fußspuren. Von einem Mädchen wurde hinzugefügt – Und Fußspuren werden immer bei dir hinterlassen. Eigentlich kann man also ziemlich beruhigt sein, oder? Denn dadurch, dass ich diesen Freiwilligendienst hier mache und so viele Leute kennenlerne, Feste mitfeiere wie das Inti Raymi Fest oder Orte bereise und Freunde besuche, werde ich zu dieser souveränen, offenen, spanischsprechenden Person, die Menschen und Kultur kennenlernt. Diese Ansprüche und Erwartungen, musste ich also lernen abzulegen, um die Leichtigkeit zu finden, die doch vieles schöner macht und die für mich auch von Ecuador verkörpert wird.

Ich meine diese Leichtigkeit, die in der Ungewissheit entsteht.

 

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